Das Versprechen der Nachhaltigkeit einlösen Bericht vom ZLS-Symposium «Greenwashing – Vom Generalverdacht zum Tatbestand» vom 03.11.2023
Das zweite Forschungssymposium der ZLS Zurich Law School zu Greenwashing führte erneut exzellente Referierende und ein wunderbares Publikum aus verschiedenen Branchen zusammen. Es förderte überraschende Erkenntnisse dazu zu Tage, wie Behörden, Unternehmen und der Finanzmarkt mit der herrschenden Ungewissheit umgehen und das Versprechen der Nachhaltigkeit einlösen können. Die ZLS dankt ganz herzlich allen Beteiligten, die dies ermöglichten.
Der nachfolgende Bericht zu den Highlights stellt eine subjektive Auswahl in eigenen Worten dar, nicht eine objektive Wiedergabe von Aussagen oder des Reichtums der Referate.
Ausgangspunkt und Frage
Ausgangspunkt sind die zunehmende Regulierung und die wachsenden Rechts- und Reputationsrisiken bezüglich Greenwashing, während gleichzeitig weder über die Standards noch die Datenlage noch das Verständnis der Adressatinnen und Adressaten Klarheit besteht. Zugleich zeigen Zahlen, dass zwischen den boomenden Nachhaltigkeitsversprechen und der effektiven Erfüllung von Standards eine riesige Lücke klafft. Vertrauen wird damit zur Achillesferse der Nachhaltigkeit. Das Problem des Greenwashings durchzieht hierbei die gesamte Kommunikation und Organisation der Unternehmen, des Finanzmarkts bis hin zum Verbrauchermarkt.
Daher die Frage des Symposiums: Wie können Unternehmen und Behörden mit dieser Ungewissheit umgehen und Greenwashing vorbeugen und welche Rolle spielt das Recht dabei?
Aktueller Anlass waren aktuelle Rechtsverfahren wegen Greenwashing, internationale Regulierungsvorhaben und der vom Bundesrat per Q3 dieses Jahres angekündigte Regulierungsvorschlag zum Thema, der am 25. Oktober 2023 zugunsten einer Selbstregulierung der Branchen einstweilen ausgesetzt wurde.
Finanzmarkt
Stefan Gross, Leiter Sustainable Finance, und RA Simona Aeberhard, Geschäftsbereich Asset Management, beide von der FINMA, gewährten einen spannenden Einblick in den Ansatz der FINMA bei der Bekämpfung von Greenwashing («Greenwashing-Bekämpfung: Die FINMA-Perspektive»). Ein gesetzliches Mandat sieht die FINMA vor allem im Bereich der Bewilligung schweizerischer (nicht bei ausländischen) kollektiver Kapitalanlagen, und insbesondere nicht in der Lenkung von Kapitalströmen in Richtung Nachhaltigkeit. Der Fokus liegt auf dem Täuschungsschutz. Angesichts der Unbestimmtheit der Standards prüft die FINMA nicht, ob ein als nachhaltig bezeichneter Fonds effektiv nachhaltig ist oder ein «Impact» effektiv besteht, sondern ob eine Aussage offensichtlich täuschend ist oder den Aussagen entsprechende Prozesse bestehen. In ihrer Aufsichtsmitteilung 05/2021 hat die FINMA einzelne Fälle genannt, in welchen sie von Greenwashing ausgeht. Wann immer bei einem Fonds ein Nachhaltigkeitsbezug angenommen wird, verlangt die FINMA bestimmte Prozesse und Offenlegungen. Aussagen wie «Zero Carbon» sind heute noch kaum mess- und nachprüfbar, weshalb in den meisten Fällen per se von Greenwashing auszugehen ist. Die Unbestimmtheit der Standards bei wachsenden internationalen Rechtsrisiken kompensiert die FINMA mit einem engen Austausch mit den Beaufsichtigten etwa in regelmässigen Aufsichtssitzungen, an Vor-Ort-Visiten und mittels Umfragen.
Dr. iur. Monica Mächler, VR-Mitglied Zurich Insurance Group AG, gab einen differenzierten Überblick über die Greenwashing-Prävention auf Konzernebene («Wie grün ist grün? Prävention von Greenwashing bei divergierender Rechtslage»). Versicherungen sind von nachhaltigkeitsbezogenen Risiken als Unternehmen, auf der Anlageseite und im Underwriting gleich mehrfach betroffen. Aus ursprünglichen Definitionen im Brundtland-Bericht etc. haben sich zahlreiche Definition der Nachhaltigkeit in Standards und Regulierungen verselbständigt, auch wenn heute wieder vorsichtig vortastende Konvergenzbestrebungen zu beobachten sind. Vor diesem Hintergrund ist zu überlegen, in einem international tätigen Konzern einen mit den verschiedenen internationalen und nationalen Standards und Regulierungen über grosse Strecken kompatiblen eigenen Ansatz zu entwickeln, der dann um allfällige lokale Anforderungen zu ergänzen ist. Die Referentin erläuterte dies an einem konkreten Beispiel. Der Kern dieses Vorgehens liegt damit in der Entwicklung eines eigenen multikompatiblen Ansatzes mit Prozessvorgaben.
Prof. Dr. Thomas Jutzi, Ordinarius für Wirtschaftsrecht Universität Bern, machte in Bezug den Fondsbereich überzeugend geltend, dass inzwischen so viel Verschiedenes in den Nachhaltigkeitsbegriff gepackt wurde, dass er weitgehend bedeutungslos geworden ist und nicht mehr als Investitionskriterium taugt («Greenwashing-Prävention durch Standardisierung im Fondsbereich»). Demgegenüber ist die EU-Taxonomie zu umständlich, nur auf das «E» von ESG bezogen und politisch geprägt. Das Täuschungsverbot im Kollektivanlagerecht, auf das sich die FINMA stützt, hat seinerseits Schwächen, etwa weil es sich nur auf die Bezeichnung des Fonds beschränkt. Die FINMA betreibt und verlangt viel Aufwand im Namen der Transparenz, doch mit Transparenz bei Fonds allein wird der Klimawandel nicht aufgehalten. Die Selbstregulierung der Schweizerischen Bankiervereinigung und der AMAS bringt Klärung, ist aber von der FINMA nicht für allgemeinverbindlich anerkannt. Die Unsicherheit im Fondsbereich liesse sich über eine Standardisierung der Kriterien im Markt und über eine Regulierung, welche nicht alles regulieren will, sondern sich jeweils bestimmte Bereiche wie Klima und Biodiversität vornimmt, abbauen. Ein interessantes Votum aus dem Publikum postulierte dagegen eine Zusammenarbeit der Rechtswissenschaft mit Nachhaltigkeitswissenschaften zur Etablierung von holistischen, nicht auf bestimmte Bereiche beschränkte, sondern auf Prozesse ausgerichtete Nachhaltigkeits-Ansätze. Diese Position muss jener des Referenten nicht unbedingt widersprechen, wie die Kombination übergreifender prozeduraler mit sektorspezifischen Regeln in internationalen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung zeigen.
Dr. René Nicolodi, Head of Equities at ZKB Asset Management und Vice-President des Board von Swiss Sustainable Finance, zeigte eindrücklich auf, dass das Risiko von Greenwashing nicht nur in absichtlicher Täuschung, sondern mehr noch in Schwächen der Informations- und Kontrollprozesse über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg liegt: vom Unternehmen über das Datenmanagement, das Asset Management hin zum Marketing für das Finanzprodukt («Greenwashing im Asset Management: Risiken erkennen, Nachhaltigkeit verstehen in der Value Chain»). Besonders das Datenmanagement ist eine grosse Herausforderung, zumal heute eine unübersehbare Vielfalt von verschiedenartigen Daten zu Nachhaltigkeit besteht, die es auszuwählen und auszuwerten gilt. Die Komplexität lässt sich trotz der Ungewissheit bezüglich der Normen und Daten beherrschen, wenn Prozesse und Kontrollen installiert werden, die rigoros und IT-gestützt die standardisierten Bedingungen der Fondsverträge sicherstellen. Ein Problem ist, dass sich das nicht alle Marktteilnehmer leisten können. Eine Diskussion über eine einheitliche Definition von Standards, was generell als nachhaltig gilt und was nicht, erscheint angesichts der enormen Bandbreite möglicher Anlageprodukte mit je verschiedener Ausrichtung als weder nötig noch sinnvoll. Angesichts der Regulierung ist ein starker Trend zu Reklassifikationen von Anlagen als nicht mehr «nachhaltig» zu beobachten, obwohl sie nachhaltige Elemente aufweisen. Der Referent sieht deshalb Schattenseiten der zunehmenden Verrechtlichung von Sustainable Finance.
Unternehmen
Prof. Dr. Beat Brändli, Partner bei Schiffbau Rechtsanwälte und Professor an der ZLS, bot eine luzide Analyse des Übergangs von der Verantwortung, wie sie durch nachhaltigkeitsbezogene Bestimmungen des Gesetzes und internationale Standards präzisiert wird, hin zu gerichtlich durchsetzbarer Verantwortlichkeit des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung («Verantwortlichkeit für Greenwashing zwischen Box Ticking und Black Box»). Angesichts der Ungewissheit über die anzuwendenden Standards und die Risiken verlangt die Sorgfaltspflicht, anstatt situativ zu entscheiden («Black Box») oder lediglich formale Kriterien abzuhaken («Box Ticking»), was beides kein Greenwashing verhindert, die Formulierung und Umsetzung eines eigenen Ansatzes. Die Ungewissheit ist auch eine Chance für die Unternehmensführung, selbst das Ziel und die Mittel zu bestimmen. Das Unternehmen muss sich dann an den selbst geweckten Erwartungen messen lassen (Selbstbindung). Diese nicht zu erfüllen, betrifft direkt die gesetzliche Sorgfaltspflicht des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung. Weiter könnten internationale Standards wie auch aufsichtsrechtliche Pflichten von einem Gericht zur Auslegung der gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltspflichten bei der Beurteilung von Greenwashing herbeigezogen werden, wie der Referent anhand des Stands von Lehre und Rechtsprechung zeigte. Trotz hoher Prozesshürden erwartet er angesichts der Erwartungsdrucks in der Gesellschaft und der allgemeinen Anerkennung bestimmmter internationaler Standards eine Zunahme von Verantwortlichkeitsklagen gegen Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung.
Dr. Antonios Koumbarakis, Head Sustainability & Strategic Regulatory PwC, führte überzeugend vor Augen, dass es nicht an Standards und Regulierungen zu Greenwashing und Nachhaltigkeit mangelt, sondern weltweit geradezu ein regulatorischer Tsunami im Gang ist («Fifty Shades of Green: Greenwashing versus Greenwishing»). Neben der EU und den USA nimmt die Regulierung besonders in Asien Fahrt auf, wo teilweise auf die EU-Regulierung zurückgegriffen wird. Zu beobachten sind gewisse Konvergenzen zwischen den Regulierungen, nicht zuletzt weil internationale Player ein Interesse an einem globalen Vertrieb ihrer Produkte haben. Die Herausforderung für die Unternehmen besteht darin, in einem umfassenden Greenwashing-Framework die für das Unternehmen relevanten Standards zu identifizieren, in der Wesentlichkeitsanalyse die für das Unternehmen wesentlichen Umweltbelange und Ziele zu bestimmen, das System kongruent dazu zu implementieren, die Einhaltung zu kontrollieren und hierzu die notwendigen Daten zu erfassen. An realen Beispielen erläuterte der Referent Aussagen in Nachhaltigkeitsberichten, die nicht mit einem solchen Set-up kompatibel sind. Hierbei wurde sichtbar, dass beim Umgang mit der vorherrschenden Komplexität neben der Prozeduralisierung die vom Unternehmen gesetzten Ziele eine Rolle spielen, an denen es sich messen lassen muss.
Strafverfolgung
Prof. Dr. Marc Jean-Richard, Staatsanwalt in Zürich und Professor an der ZLS, Titularprofessor an der Universität Zürich, prüfte in seiner packenden Präsentation anhand von Fallbeispielen die Strafbarkeit von Greenwashing unter den Bestimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), namentlich unrichtige oder irreführende Aussagen über Produkte und aktives Verschleiern von Eigenschaften («Falscher Anstrich als Schaden? Strafbarkeit von Greenwashing als Betrug oder Unlauterer Wettbewerb»). Strafverfahren unter dem UWG bedürfen eines Strafantrags, der unter anderem vom SECO gestellt wird, etwa weil die Staatsanwaltschaft das SECO auf Fälle aufmerksam macht. Zwar sind die Standards zur Beurteilung von Greenwashing unbestimmt. Nicht unbestimmt ist jedoch die Ebene der Feststellung von Tatsachen. Wird eine nachhaltige Eigenschaft eines Produkts beworben, ist ihr Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eine Tatsache. Der Referent führte damit vor Augen, dass die Strafverfolgung trotz der Unbestimmtheit der Standards und der Komplexität der Datenlage möglich ist, indem sie sich auf bestimmte Tatsachen konzentriert und diese aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Im Unterschied zum UWG dürfte die Verfolgung von Greenwashing als Betrug regelmässig daran scheitern, dass keine Vermögensschädigung nachweisbar ist. Auf den Einwand, es brauche einen eigenen Greenwashing-Tatbestand, stellte der Referent zur Diskussion, ob nicht andere Gremien wie die Lauterkeitskommission geeigneter seien, um über Greenwashing zu urteilen, als die Strafgerichtsbarkeit.
Lea Bachmann, MLaw, SNF-Doktorandin am Lehrstuhl für Strafrecht von Prof. Dr. Sabine Gless an der Universität Basel, wies in ihrer umsichtigen Analyse der Voraussetzungen der Strafbarkeit und ausländischer Rechtsprechung mit Blick auf die Unbestimmtheit der Begriffe der Nachhaltigkeit und des Greenwashing die Grenzen der Strafverfolgung auf («Harmonisierung von Standards als Voraussetzung für eine Strafbarkeit von Greenwashing – am Beispiel EU»). Es bräuchte einen allgemeinverbindlichen Rahmen, wie ihn die EU-Regulierung bietet bzw. in der künftigen Green Claims Directive definieren wird. Gegen das Argument aus dem Publikum, ob internationale Standards zur Auslegung, was als falsche Aussage gilt, hinzugezogen werden könnten, um die Strafbarkeit von Greenwashing zu begründen, wendeten die Referentin und der Vorreferent ein, dass dies nur in Frage käme, wenn aus den internationalen Standards Verhaltenspflichten folgen würden, was aber meist nicht der Fall ist.
Einige Ergebnisse
Die Präsentationen und Diskussionen im Publikum zeigten, dass bei der Greenwashing-Prävention nicht auf einheitliche gesetzliche Standards gewartet werden kann und muss:
- Massnahmen zum Umgang mit der Ungewissheit bezüglich der Normen und der Daten sind seitens der Aufsichtsbehörde der enge Austausch mit den Beaufsichtigten und ein Fokus auf Täuschungsschutz, Beleg- und Messbarkeit von Aussagen, Offenlegung und Strukturen.
- Seitens der Unternehmen helfen eine Prozeduralisierung über alle Stufen, die Entwicklung eigener interner multikompatibler Policies zur Konkretisierung in den einzelnen Unternehmenseinheiten und eine Selbstbindung an die als wesentlich definierten Aspekte der Nachhaltigkeit.
- Im Fondsbereich wird angesichts des Bedeutungsverlusts des immer breiter verstandenen Nachhaltigkeitsbegriffs die Reduktion der Unsicherheit mittels einer Standardisierung der Produkte erreicht.
- Im Asset Management muss der Schwerpunkt der Greenwashing-Prävention auf stringenten, IT-gestützten Informations- und Kontrollprozessen über die gesamte Wertschöpfungskette, nicht nur auf dem Marketing liegen und ist die Prüfung der Einhaltung der Fondsverträge weitmöglichst zu automatisieren.
- Und schliesslich lehrt uns die Perspektive der Strafverfolgung, wie Unternehmen jenseits der Unbestimmtheit der Standards auf der Tatsachenebene an ihrer eigenen Kommunikation zu messen sind.
Die Botschaft des Symposiums an die weitere Diskussion:
Die Einlösung des Versprechens der Nachhaltigkeit verlangt von den Unternehmen, dem Finanzmarkt und der Rechtsanwendung, durch das Gewirr der Normen und Daten hindurch den Blick auf das Wesentliche nicht zu verlieren – die Schaffung von Vertrauen.
Daniel Dedeyan
Rektor der ZLS Zurich Law School
Counsel Walder Wyss im Kapital- und Finanzmarktrecht
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ZLS Zurich Law School
Institut für RechtswissenschaftJungholzstrasse 43
8050 Zürich
03.11.2023 13:30 – 19:00 Uhr, anschliessend Networking Apéro
Kalaidos Bildungszentrum, Jungholzstrasse 43, 8050 Zürich (beim Bahnhof Zürich-Oerlikon)
Greenwashing
Forschungssymposium an der ZLS Zurich Law School